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sportsaal hat geschrieben: Stimmung vom Band und “die lauteste Haupttribüne der Welt” – arme arme Mainzer Fankultur – ein ernüchterter Erlebnisbericht
Ja, wir sind ein wenig verwöhnt in Düsseldorf. Wir leben in einer Oase des Glücks der Stadionatmosphäre. Wir haben einen Stadion-DJ, der Punkrock und HipHop spielt und uns Fans einfach selber singen lässt, wenn es Zeit dafür ist. Wir haben zwei Stadionsprecher, die unaufgeregt sind und glücklicherweise jeglichen Danke-Bitte-Scheiß weglassen wie es ihn in 95 Prozent der anderen Stadien zu hören gibt. Zum Beispiel in Mainz. Was sich dort gestern bei unserem Gastbesuch abspielte, schlägt jedem Fass den Boden aus. Es war ein weiterer Tiefpunkt meiner Erlebnisse wie man Fankultur gänzlich aus dem Stadion schießen kann, eine Beerdigung der eigenen Identität eines Vereins; wo soll das denn hinführen?
Eigentlich fängt alles gut an, denn in Mainz haben sie die Angewohnheit, dass auch die Gästefans die Namen ihrer Spieler brüllen dürfen. Obwohl – im Grunde muss ich zugeben, dass ich sowas für Quatsch halte; denn das Stadion gehört den Heimfans und da sollte es auch keine Geschenke geben, die so übertrieben mit dem Etikett “Fair Play” dargeboten werden. Aber gut, nett ist es. Doch dann kommt dieser Kirmesanimateur von Stadionsprecher und heizt der Menge ein. In einer Lautstärke, dass einem die Ohren wegfliegen und die so drüber ist, dass man gar nicht genau verstehen kann, was er überhaupt sagt.
Am besten wäre es, man würde es gar nicht verstehen. “Und jetzt, ein herzliches Willkommen an die lauteste Haupttribüne Deutschlands mit einem Riesenapplaus, sensationell”. Die sieben Leute, die schon vom VIP-Catering auf ihre Haupttribünenplätze gefunden haben (zehn Minuten vor dem Spiel) klatschen lustlos. “Und wir freuen uns auf die Zuschauer auf der Gegentribüne, yeah”. Die Gegentribüne versucht rhythmisch zu klatschen, aber gleichzeitig wird vom Band irgendwelche Disco-Musik eingeflötet, die alles übertönt, was an Atmosphäre aufkommen könnte.
Dann kommt die Mannschaftsaufstellung: “Mit der Nummer 14 – und wir freuen uns, dass er auch heute wieder dabei ist, denn er spielt immer besonders gut für den FSV – Juuuuuliiaaaaaan…”. Bei jedem Spieler sieben Minuten Erzählung, wie sehr man sich auf ihn freut inklusive kompletter Vita, Konfektionsgröße und Hobbies. Anstatt einfach mal nur die Namen zu brüllen und einfach die Fans laut sein zu lassen. Im Anschluss nochmal überlaute Disco-Musik und die Anfeuerung für die “lauteste Haupttribüne der Welt”. Nochmal dazu: Was soll das? Wieso muss man so vermessen sein, die eigene Haupttribüne als die lauteste der Weltgeschichte zu titulieren? Erstens ist sie das vermutlich nicht. Zweitens weiß das jeder. Und drittens bringt es null Atmosphäre!
Dann kommt der Höhepunkt. Vermutlich, weil sie in Mainz kein gutes eigenes Lied haben und die Fans für nicht kreativ genug halten, selbst Stimmung zu entfachen, spielen sie mit 700 Dezibel “You’ll never walk alone”. Das abgehalfterteste Stadionlied der Erde, das jeder Viertligist inzwischen für sich beansprucht und das eigentlich nur nach Liverpool und Glasgow gehört und mit Mainz aber auch mal nullkommagarnichts zu tun hat. Nebenbei ist das Lied so laut vom Band, dass man die eigenen mitsingenden Fans (also beim Refrain, die Strophen kennt ja mal wieder niemand) nicht hört, was atmosphärisch total klasse ist. Es sieht beeindruckend aus, wie das ganze Stadion seine Schals hochreckt. Aber warum denn nicht zu einem eigenen Fangesang (keine Hymne, die sind außer in Köln und Hamburg überall das allerletzte)?
Danach kommt noch irgendein ohrenbetäubendes Mainzer Bumm-bumm-bumm-Lied, während die Mannschaften einlaufen. Die Fans klatschen mit, aber das kann man nur sehen, hörend ist es höchstens zu erahnen. Der Stadionsprecher brüllt derweil in sein Mikro, als könnte er mit seiner Stimme nebenbei Strom erzeugen (wird nämlich alles präsentiert von Entega, später auch mal von einem lokalen Friseur, einem Möbelhaus, Dullibulli, Tick Trick und Track und Robbie Tobbie und dem Fliewatüüt). Als die Mannschaften kommen, begrüßt er nochmal alle Tribünen (die lautesten südlich der Milchstraße) und erklärt den Zuschauern, dass sie jetzt Gas geben müssen, Stimmung machen, “Auf geht’s Meenzer”, jetzt aber, sensationell, wir freuen uns, welch eine Stimmung.
Bis dahin haben die Fans noch nicht einmal ein eigenes Lied gesungen (bzw. singen können), weil dieser Heiopei jede Fankultur sofort zerstört und einen Müll redet, dass es in den Ohren und in allen Gliedern wehtut. Dass auch in der Halbzeit jeder Fliegenschiss in Flugzeuglautstärke von irgendwem präsentiert wird, daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Aber dass dieser Dampfplauderer (ich will den Namen gar nicht recherchieren) am Ende der Zweiten Halbzeit – als die Mainzer Spieler zurück auf den Rasen kommen – rumschreit, dass die Spieler jetzt kommen und die Unterstützung der lautesten Fans westlich von Wiesbaden brauchen, das setzt allem die Krone auf.
Zur Erklärung, lieber Stadionsprecher: Fans sind ein sehr sensibles Ökosystem. Erstens: Die sehen (außer die Blinden), dass die Spieler wiederkommen. Zweitens: Die entscheiden dann selbst, ob die Mannschaft jetzt Jubel und Applaus braucht (und sich diesen verdient hat). Drittens: Man kann ihre Unterstützung nicht hören, wenn du ellenlang dazwischen quatschst. Die Fans brauchen keine Anleitung vom Band. Und wenn sie sie doch brauchen, dann weil ihr Clowns jedes Feingefühl der eigenen Fankultur schon zerbombt habt mit eurem geistigen Karneval.
Nach dem Spiel das selbe Schauspiel (außer während der handelsüblichen Humba), anschließend werden die besten Fans (“sensationell”, “Wahnsinn”) nach Hause verabschiedet. Ich gehe auch und bin erschüttert. Mainz wirkt wie ein Mosaiksteingebilde, in dem sich alles zusammensetzt, was ich bisher erlebt habe. In Augsburg bedudelten sie mich den kompletten Weg von der Bahnhaltestelle zum Gästeblock mit einem irre peinlichen Vereinslied aus Lautsprechern. In Osnabrück spielten sich zwei Stadionsprechernasen unglaublich unfähig die verbalen Bälle zu, ohne jeglichen Inhalt. In Paderborn haben sie das grässlichste Vor-dem-Spiel-Lied (“Paderborn, erhebe dich und lauf, du Perle Ostwestfalens”), das bizarrste Halbzeitlied (“Erste Halbzeit adé – zweite Halbzeit hallo”) und weisen pro Spiel siebzehn Mal drauf hin, dass das örtliche Einkaufscenter nach dem Spiel noch geöffnet hat. In Fürth haben sie die Invasion der Klatschpappen, noch so ein Phänomen wider jedem Ausdruck eigener Fankultur. In Mainz haben sie all das (außer die Klatschpappen, die würde eh niemand hören können bei der Musik) unter einer großen Glocke zusammengezimmert.
Fußball ist in vielen Stadien (zum Glück nicht in allen) längst ein Event, bei dem der Zuschauer vorgekaut bekommt, was er nun zu tun hat und wie wahnsinnig super er das macht. Die Kreativität der Kurven wird nicht nur durch “Gesetze” und Sanktionen, sondern auch durch diese Verjahrmarktlichung der Stadien, ausgelöscht. Und am Ende hat man Tinnitus. Arme, arme Fußballatmosphäre. Willkommen beim Eishockey / Handball / Basketball / American Football. Grauenvoll!
Achso, eins noch: Gespielt wurde auch. Ergebnis war in Ordnung. Hätte auch Unentschieden ausgehen können, aber manchmal ist das Glück auch mit die anderen.